Es heißt ja aktuell immer mal wieder, dass das Fahrradfahren aktuell boomt und das der Fahrradmarkt nicht mehr hinterher kommt. Gerade die Covid-19 Pandemie samt ihren Folgen hätte dem schon etwas länger andauernden Trend nochmal ordentlich Feuer unterm Sattel gemacht. Hm, aber ist das wirklich so? Was wird denn so verkauft in den letzten Jahren? Und wie sieht das eigentlich mit Fragen der Ökologie & nachhaltigen urbanen Mobilität aus?

Der deutsche Fahrradmarkt: Wir klären Fragen der Ökologie & nachhaltigen urbanen Mobilität

Ein Auftrag für unsere neugegründete Task-Force „Recherche & Archiv“. Die hat sich den Fahrradmarkt in Deutschland und dessen Entwicklungen der letzten Jahre mal etwas genauer angeschaut. Wir fassen die wichtigsten Fragen und Antworten hier für euch zusammen.

Wie viele Fahrräder gibt es in Deutschland?

Fangen wir mal recht seicht an. Fakt ist, heute gibt es mehr Fahrräder in Deutschland als jemals zuvor. “Jemals” stimmt vielleicht nicht so ganz. Aber zumindest mit Blick auf die letzten 15 Jahre und wenn man die offiziellen Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) zugrunde legt. Diese besagen, dass es 2005 ca. 67 Millionen Räder gab, der Bestand stetig zunahm und im Jahr 2019 eine Allzeithoch von 75,9 Millionen erreichte. Ein Zuwachs von etwas mehr als 13 %. Ist das dieser Fahrradmarktboom?

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154198/umfrage/fahrradbestand-in-deutschland/

Die zwei Typen von der Task Force “Recherche & Archiv”

Der Fahrradmarkt boomt, oder? Wie viele Fahrräder werden denn jedes Jahr verkauft?

Dazu gibt es natürlich ebenfalls Statistiken. Wir gucken hier ja nicht in die Glaskugel. Auch hier wieder offizielle Angaben des ZIV. Und, Überraschung: Nicht 2019 war das Jahr mit den meisten abgesetzten Rädern. Nee, nee. In den meisten 00er Jahren lag der Absatz höher. Wo ist denn da der Boom jetzt? Okay, ja, kein Covid-19 dabei und wo sind die 2020er Zahlen? Die gibt es scheinbar noch nicht. Konnten wir nicht auftreiben. Aber, zumindest Schätzungen für das erste Halbjahr 2020.

Im Jahr 2000 wurden die meisten Räder verkauft, nämlich 5,12 Millionen

Hier geht der ZIV davon aus, dass in den ersten 6 Monaten des Jahres ca. 3,2 Mio. Räder über die (virtuelle) Ladentheke gingen und dies ein Plus von etwas mehr als 9 % zum Vorjahreszeitraum ist. Da tut sich also scheinbar was. Vielleicht boomt es also doch ein bisschen? Aber zurück in die Nullerjahre. Im Jahr 2000 wurden die meisten Räder verkauft, nämlich 5,12 Millionen. Ungefähr 800.000 mehr als 2019 mit 4,31 Millionen verkaufen Fahrrädern. Der Tiefpunkt lag im Jahr 2013 mit 3,8 Millionen verkaufen Zweirädern. Was war denn da los? Seitdem werden (abgesehen 2017) jedes Jahr mehr als 4 Millionen Räder abgesetzt.

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154146/umfrage/fahrradabsatz-in-deutschland-seit-2000/

Zeche Erin und der keltische Baumkreis
Ein Fahrrad im Ruhrgebiet

Wie entwickelt sich denn der Umsatz im Fahrradeinzelhandel?

Jetzt ist man nach dem vorherigen Absatz ja vielleicht erst einmal geneigt zu denken, dass wenn gar nicht mehr Räder verkauft werden, im Einzelhandel auch nicht wirklich mehr umgesetzt wird. So grob gedacht: Verkauftes Rad ist verkauftes Rad und wenn du 2009 davon 10 verkauft hast, hast du erst einmal einen ähnlichen Betrag brutto in der Kasse, wie wenn du zehn Jahre später 10 Drahtesel verkauft hast. Na, logo. Kinderleichte Rechnung. Statistisch betrachtet ist dem jedoch nicht unbedingt so.

Zu viele Fakten? Hier geht es zu unserer Münsterlandtour .

Der Umsatz mit Fahrrädern, Fahrradteilen und –zubehör hat sich zwischen 2009 und 2019 fast verdoppelt

Der Umsatz mit Fahrrädern, Fahrradteilen und –zubehör hat sich zwischen 2009 und 2019 fast verdoppelt. Da steht ein Plus von 87 % (von 2,4 auf 4,5 Mrd. €) in der Kasse. Klar, nicht in der Kasse aller Läden ist das so und Reparaturen sind hier offensichtlich auch nicht mit drin und Second-Hand Räder sicherlich mal gar nicht. Und ja, es geht ja nicht nur um den Verkauf von neuen Rädern, sondern auch um Zubehör, dies das.

Die Kommerzialisierung und Elektrifizierung des Fahrradfahrens

Aber, so unsere These, an Rädern und für Radfahrer*innen wird auch mehr Schnick-Schnack verschraubt und verkauft. Radfahren ist einfach nochmal stärker kommerzialisiert und kapitalisiert worden in den letzten 10 Jahren. Und obendrauf kommt noch die Elektrifizierung (E-Bikes), welche, so unsere Einschätzung, recht lukrative Margen abwirft.

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6330/umfrage/umsatzentwicklung-im-fahrradhandel-in-deutschland/

Welche Fahrradmodelle werden am häufigsten in Deutschland gekauft?

Apropos E-Bikes. Kommt jetzt auch nochmal was Detaillierteres zu. Nach diesen eher allgemeineren Zahlen, haben wir uns nochmal genauer angeschaut, welche Radmodelle anteilig am häufigsten verkauft werden. Hier das Top 3-Ranking für das Jahr 2019.

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Top 3 Radmodelle und ihr Anteil am Absatz in 2019

Fast jedes dritte verkaufte Fahrrad ist ein E-Bike

Zusammen entfallen auf die Modelltypen E-Bike, Trekking-Rad und City-Rad (urban) also annähernd dreiviertel des gesamten Absatzes. Fast jedes dritte 2019 verkaufte Rad ist elektrifiziert. Und was ist dem Einrad? Wo ist das Hochrad? Und das BMX? Ausgestorben? Und das Tandem? Hm, gibt die Statistik nicht her. Vielleicht unter „Sonstige“ (2 %) zusammengefasst? Keine Ahnung, Leute.

Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/6062/umfrage/anteil-der-fahrradmodelle-in-deutschland/

Wo werden denn die ganzen Fahrräder eigentlich hergestellt?

Sehr gute Frage und ein wirklich wichtiger Aspekt, gerade weil das Rad ja quasi fast ohne Vorbehalte als gutes, sauberes und umweltfreundliches Produkt gilt. Im Vergleich zum PKW ist das sicherlich auch so. Dennoch sollten ökologische und soziale Aspekte der Herstellung und der Produktzyklen von Rädern und Radzubehör mal intensiver unter die Lupe genommen werden. Und dies auch unter einer globalen Perspektive. Hier verweisen wir auf die wichtige Reportage aus dem Jahr 2019 von Zacharias Zackarakis in der ZEIT (https://www.zeit.de/2019/51/kambodscha-export-fahrraeder-fabrik-arbeitsbedingungen).

Sind E-Bikes nachhaltig? Stichwort Batterieproduktzyklus

Arbeits- und Herstellungskontexte sind auf dem Fahrradmarkt noch zu selten im Fokus. Hier geht mehr. Stichwort E-Bikes und deren Boom und das Problem des Batterieproduktzyklus und miserable Arbeitsbedingungen. Das können wir in diesem Beitrag nicht leisten, schreiben wir uns aber auf die To Do Liste („Beitrag über Fairen Handel bei Fahrrädern schreiben”, To Do Nr. 1). Kommt also bald, versprochen. Finden wir nämlich selber super spannend und politisch wichtig. Aber zumindest, siehe auch verlinkter ZEIT Artikel, wollen wir euch kurz darstellen von wo denn die meisten nach Deutschland importierten Räder herkommen.

Langweilig? Hier geht es zum RuhrtalRadweg.

Der Fahrradmarkt ist eigentlich ein Fahrradimportmarkt. Das sind die Top 5 Fahrradimportländer

Die kommen nämlich häufig, Top 5 der Importländer, aus Kambodscha (23 %), Bulgarien (11 %), Polen (11 %), Portugal (7 %) und Bangladesch (7 %). Ganz schön global, oder? Wichtiger Punkt also auch: Bevor man selber einen umweltfreundlichen Kilometer auf seinem Rad zurückgelegt hat, ist die Kiste vielleicht schon ein paar Tausend Transportkilometer unterwegs gewesen. Schlechte Arbeitsbedinungen vielleicht inklusive. Das ist doch mal interessant oder? By the way: Die Fahrradproduktion in Deutschland ist übrigens insgesamt rückläufig (jedoch nicht bei E-Bikes): Wurden laut offiziellen Angaben im Jahr 2000 noch 3,4 Mio. Räder in Deutschland gefertigt, waren es 2019 noch 1,85 Mio.

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Zwei Räder im Münsterland

Wie ist denn jetzt die genauere Entwicklung bei den elektrifizierten Fahrrädern? Gibt es einen E-Bike Boom?

Nochmal zu den E-Bikes. Unsere nächste These hier mal vorab: Es gibt keinen Fahrrad-Boom, sondern einen E-Bike-Boom! Ha, der sitzt, oder? Bob Andrews ist da mal gar nichts gegen die Fahrradrabauken-Task-Force „Recherche & Archiv“. Investigativ? Check. Innovativ? Check. Provokativ? Check.

Steigen die Fahrradverkaufszahlen auf dem Fahrradmarkt weiter durch die COVID Pandemie?

Okay, klar, wir sind jetzt dann doch nicht unbedingt die Ersten mit dieser Erkenntnis (siehe u.a. Quellen). Aber sei es drum. So und hier die Zahlen zur Selbstbeweihräucherung. Ihr erinnert euch an die Frage nach den Verkaufszahlen weiter oben? Ja genau, es werden gar nicht mehr Räder verkauft als in den Nullerjahren und trotzdem reden alle von einem Fahrrad-Boom. Und den gibt es auch, jedoch “nur” bei den elektrifizierten Drahteseln.

JahrAnteil
2005 0,5 %
2010 5,0 %
2018 23,5 %
2019 31,5 %
Tabelle 2 Marktanteile E-Bikes in Deutschland

Der Fahrradmarktboom ist eigentlich ein E-Bike Boom

Die Absatzzahlen in diesem Segment sind stark angestiegen in den letzten Jahren, vor allem ab der zweiten Hälfte der 2000er Jahre. Guckt mal in die Tabelle. Während der Marktanteil (Absatz) von E-Bikes 2005 noch bei 0,5 % lag, so lag er 2010 bereits bei 5 %. Im Jahr 2018 war dann circa jedes vierte verkaufte Rad ein E-Bike (23,5 %). Insgesamt wurden in diesem Jahr 980.000 Elektroräder verkauft, 36 % mehr als im Jahr zuvor. Von 2018 auf 2019 wuchs der Absatz nochmals um 39 % auf nun 1.360.000 an. Das nennen wir mal einen Boom! Ein Büümchen gibt es aber auch bei den Fahrrädern, hier stieg der Absatz um 2 % an. Immerhin.

Quellen:

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/152721/umfrage/absatz-von-e-bikes-in-deutschland/

https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/aktuell/nachrichten/marktanteil-von-elektrofahrraedern-waechst-auf-235

Was ist denn eigentlich mit den E-Bikes und ökologische Aspekten?

Kurz zusammenfasst: Gibt Pro und Contra. Auf der Seite utopia.de gibt es dazu einen interessanten Artikel, den wir hier gerne verlinken (https://utopia.de/ratgeber/elektrofahrrad-e-bike-oeko/). In dem Artikel wird klar, dass das Thema facettenreich ist. Wir haben aus dem Utopia-Beitrag mitgenommen:

Fakten, Fakten und noch mehr Stichpunkte zum Thema E-Bike und Nachhaltigkeit

  • Herstellung und Recycling sind problematisch: In Lithium-Ionen-Akkus sind eine Menge ziemlich, naja, „dreckige“ Rohstoffe und auch sogenannte seltene Erden verbaut, u.a. Lithium, Elektrolyt, Cobalt, Nickel, Mangan und viele weitere Rohstoffe
  • Aufladung des Akkus kostet Geld: 0,5 bis zwei Kilowattstunden (rund zehn bis 40 Cent) werden circa je 100 Kilometer fällig, u.a. abhängig von Streckenbeschaffenheit und Fahrweise
  • Nutzungsdauer/Langlebigkeit: Noch nicht ganz klar, da es E-Bikes noch nicht so lange gibt. Aber: Belastung auf alle Komponenten bei E-Bikes größer, daher Verschleiß wahrscheinlich höher
  • Emissionen aus Akkuproduktion und -recycling sind nach circa 100 E-Bike-Kilometern eingespart, wenn dafür 100 PKW-Kilometer eingespart werden
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Fahrräder und E-Bikes im Münsterland

Wie sieht das denn jetzt mit der Bedeutung des Fahrrads für die Zukunft einer nachhaltigeren urbanen Mobilität aus?

Puh, komplexe Frage und ehrlich gesagt ist die Task-Force nach stundenlanger Recherche zu diesem Beitrag komplett übermüdet. Auch hier zu machen wir mal einen separaten Artikel (To Do Nr. 3, oh je). Für uns, da Wahlkölsche, auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Auf dem Land, da kommen wir nämlich wech, anderes Thema sicherlich. Aber für uns in Köln halt wichtig, weil wegen Klima- und Sicherheitsgründen, Sinnhaftigkeit usw.

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Verkehrswende im urbanen Raum mit wenig Geld für den Radverkehr

Da tut sich aber was in Sachen Stadt und Rad. Vielerorts sind Initiativen unterwegs und schieben eine Verkehrswende voran. Gesetzgebungen werden initiiert, kreative Protest und Aktionsformen seit Jahren auf die Straßen gebracht und es scheint sich was zu bewegen. Das finden wir gut. Ein wichtiger Punkt für uns ist, dass mehr Geld pro Nase (wenn man es so rechnen möchte) in den Umbau der Städte zu nachhaltigeren Verkehrsorten gepumpt werden muss. Warum? Weil das in anderen Ländern schon viel besser gemacht wird und dort positive Effekte hat.

Zum Vergleich: Je Einwohner*in fließen jährlich in den Radverkehr

Wieviel Geld wird für den Radverkehr ausgegeben?

  • Berlin: 4,70 €
  • Hamburg: 2,90 €
  • Köln: 2,80 €
  • Amsterdam: 11,00 €
  • Kopenhagen: 35,60 €

Wieviel Geld wird in Köln für den Radverkehr ausgegeben?

Kölle! Was‘ denn da los? 2,80 €? Dat es jet nit, wo mer stolz drop sin. Da muss mehr kommen. Was es darüber hinaus noch für eine gelingende urbane Mobilitätswende braucht, könnt ihr euch zum Beispiel heute Abend online in einer Diskussionsrunde anschauen/anhören, zu der u.a. Arndt Klocke, Mitglied des Landtags NRW einlädt. Alles Weitere dazu, hier:

Klick auf den unteren Button, um den Inhalt von www.arndt-klocke.de zu laden.

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Quelle:

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/909259/umfrage/jaehrliche-ausgaben-je-einwohner-fuer-den-radverkehr-in-deutschen-staedten/

Kurze Eskalation und textliche Auswüchse für den Fahrradverkehr

So, das war es fürs erste von der Task-Force „Recherche und Archiv“. Wir hoffen euch hat es bis hierhin gefallen. Ein bisschen lang geworden der Beitrag, eigentlich wollten wir nur mal kurz in die Daten gucken und fix was runterschreiben. Jetzt ist wieder ein halber Tag rum. Naja, hat aber Spaß gemacht. Und das ist ja das Wichtigste.

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Ein Fahrrad in den Alpen

Für Rückfragen, Korrekturen oder ähnliches sind wir dankbar, da nicht fehlbar. Ansonsten, macht es gut und,

Fahrradrabauken